Die Jahreszeiten kommen und gehen – aus dem Hamsterrad betrachtet ist es immer das Gleiche, in immer gleicher Abfolge. Aus der inneren Perspektive jedoch erscheint es mir jedes Jahr wieder neu, eine Überraschung sein. In diesem Jahr fällt es mir besonders auf…
Ich lebe jetzt im siebten Jahr an demselben Ort. So lange habe ich, seit ich als Zwanzigjährige aus dem Elternhaus auszog, noch nie an einem Ort gelebt. Über 20 Jahre folgte ich der Neugier, der Weite der Welt, den vielfältigen kulturellen Ausdrucksformen. Mit vierzig sehnte ich mich nach nichts mehr, als in der Erde zu wühlen, mit Pflanzen zu arbeiten, in der Natur zu sein. Diese Sehnsucht erfüllt sich nun schon seit vielen Jahren und führt mich erstaunlicherweise jedes Jahr, trotz der gleichen Erde und Umstände, zu stetig neuen Erfahrungen. Was wächst in diesem Jahr besonders stark? An welchen Gartenecken vermehren sich welche Pflanzen? Was hat mich im letzten Jahr in Fülle erfreut und was wächst oder blüht in diesem Jahr kaum?
Der heutige Sonnentag hat mich früh eingeladen nach den Kräutern zu schauen. Erstmal leerte ich die Trockenkörbe und war erstaunt, wieviel wir schon geerntet und getrocket haben: Marien- und Ruchgras, Holunder, Ilexblätter, Weißdorn, Weinraute, Oregano, Gundelrebe, Katzenminze… Heute kam weiterer Holunder hinzu, unterschiedliche Rosenblüten, Ehrenpreis und Baldrianblüte. Wenn ihr letztere durch die Schrift hinweg riechen könntet:-) Der Duft der Baldrianblüte ist für mich eine der kostbarsten Erlebnisse im Jahresverlauf. Naja, Katzenminze auch, und: Holunderblüte mindestens ebenso! Weißdorn auch nicht vergessen. Ok, ich sehe es mal wieder ein: Vergleiche bringen nichts! Wirklich jede Pflanze hat ihren einzigartigen kostbaren Duft, ihre besondere Ausstrahlung oder Wirkung. Unvergleichlich z. B. die mäjestetische Form der blühenden Engelwurzkugeln – eine luftige Geometriearchitektur.
In weniger als drei Wochen feiern wir die Sommersonnenwende. Gespannt halte ich dafür nach den ersten blühenden Königskerzen Ausschau. Im letzten Jahr blühten sie von Mai bis in den späten Oktober, ein echtes Köniskerzenjahr 2018- ganz passend zum heißen Sommer mit der fülligen Kräuterernte. In diesem Jahr sehe ich bisher nur zarte Knospen. Und während ich im letzten Jahr kaum Holunderblüten geerntet habe, blüht unser Hofholunder in diesem Jahr zum ersten Mal soviel, dass ich einige Blüten ernte und die anderen für die späteren Früchte lasse…
Mit großer Freude entdeckte ich im frühen Frühjahr, wieviele Pflanzenkinder sich selbst ausgesät oder über ihre Wurzeln vermehrt hatten: Beifuß, Rainfarn, Eisenkraut, Muskatellersalbei, Weinraute, Johanniskraut, Nachtkerze, Schafgarbe, Ysop, Melisse… So konnten wir neben dem Zaun der alten Schafweide ein neues Kräuterbeet anlegen, welches nur aus hiesigen Jungpflanzen besteht! Eingerahmt zwischen der jungen Rotbuche und kleinen Eiche, die dort, ohne unser Zutun, den Beginn eines neuen Heckenwuchses prägen.