Auenhof, Emsauen – überflutete Wiesen. Pfeifende Sturmböen, prasselnder Regen – Wind und Wasser in Fülle. Zwitschernde Vögel, ziehende Kraniche, Blüten, Knospen – alle machen sich bereit für den Durchbruch. Das Neue; Frühjahr.
Die letzte Abendsonne ruft mich hinaus. Rot-golden strahlt der westliche Abendhimmel. Die zunehmende Mondsichel leuchtet neben den ersten Sternen.
Ich gehe immer weiter, will die Wasserfluten erleben. Die letzen beiden Jahre waren so dürr. Eine unglaubliche Fülle an Licht haben sie geschenkt. Ausdauer, Kraft und Mut beschert. Wandlung geschehen lassen. Für das Neue, das jetzt fliesst. Es ist Schaltjahr. Der 29. Februar, eine seltene Besonderheit. Ich bin frisch zurückgekehrt nach drei Wochen Glückswellenreiten in Indien. Bei Amma, mit Frauen und Kindern, am Meer, bei den Delfinen.
Heute bin ich wieder hier. Diese Auenlandschaft berührt mich zutiefst. Auenhof, der Name unseres Zuhauses. Die Reisezeit hat begonnen, der Ruf der Weite. Detachment vom äußeren Zuhause – auch von der Enge, die durch Gewohnheit, fixe Strukturen und stumpfes Wiederholen oft Alltagsbegleiter ist.
In Indien fühlte sich jeder Tag neu an. Am Anfang des Tages wussten wir nur, das wohl wieder etwas Neues passiert, etwas Bereicherndes. Wir wussten nur nicht wie, wann, wo, mit wem…
Hier in Deutschland fühlt sich diese Lebendigkeit des Lebens eingepfercht an. Montag bis Freitag, Karneval bis Ostern, Wiederkehrendes ohne Wunder. Hamsterrad mit Lebensenergieverschleiss. Wat’n Scheiss!
Ohne uns. Wir erweitern. Wir sind in die Tiefe von Mutter Erde eingetaucht, in den Ozean der Liebe der Pflanzenwelt. Jetzt zieht es uns in die Weite; die Tiefe in der Welt zu teilen. Zu erleben wie vergänglich und unstet das Leben ist, wenn wir nicht nur auf die Rente warten. Zu erleben, dass wir im Kern alle Brüder und Schwestern sind – Religionen, Kulturen, Sprachen. Sprache – was für ein wundervolles Instrument des Austausches, der Verständigung. Und ohne die verbale Sprache spricht die Sprache des Herzens, der Menschlichkeit, der Stille, des Seins.
Diese Sprache erlebte ich gestern Abend an der Ems. Plötzlich flog ein wuchtiger Vogel auf mich zu. Aus der Abenddämmerung hob sich der mächtige Körper einer Eule empor. Schnurstracks auf mich zu, in ungefähr acht Meter Höhe. Ich hielt gebannt inne. So auch die Eule. Direkt vor mir liess sie sich im oberen Geäst eines Baumes nieder. Wir schauten uns an. Wir schauten uns um. Wach und andächtig. Sofort schoss mir der Fund der toten Schleiereule auf einem Acker im letzten Herbst in den Kopf. Jetzt sitzt diese große lebendige Eule vor mir.
Ich spüre mein Herz, meine Lebendigkeit. Meine Berührung durch diese unerwartete Begegnung. Meine Liebe für mein Leben, das Leben. Ich bin so unendlich dankbar. Indien, Deutschland; Amritapuri, Auenhof; Weite, Tiefe; Himmel und Erde. Alle sind unterschiedliche Ausdrucksformen des EINEN. Kostbares Dasein.